1945 - 1959

 

1945 Am 29. M�rz, kurz vor dem Kriegsende, findet die erste Urauff�hrung im Schauspielhaus Z�rich, der B�hne aller weiteren Urauff�hrungen, mit Ausnahme des "Triptychon", statt: "Nun singen sie wieder. Versuch eines Requiems" unter der Regie von Kurz Horwitz, ein St�ck �ber die Erschiessung russischer Geiseln, deren Gesang die Schuldigen als Mahnung verfolgt. Es wirft die Frage auf nach dem Versagen einer Kultur, in der der K�nstler sich nur in den Sph�ren des Geistes bewegt, nicht aber als Staatsb�rger, als Mitglied der Gesellschaft, lebt. Und, so legt es MF dem Soldaten, der den Mord begangen hat, in den Mund. "Es gibt keine Ausflucht in den Gehorsam, auch wenn man den Gehorsam zu seiner letzten Tugend macht, er befreit uns nicht von der Verantwortung". Das Publikum ist betroffen, die Kritik positiv. MF gewinnt den Dramenpreis der Welti-Stiftung, doch die NZZ meldet inhaltliche Bedenken an: Ein junger Inlandredaktor fragt in seinem Leitartikel "Verzeihen oder verdammen?" nach dem Verh�ltnis der Schweizer zum Dritten Reich. Neben der juristischen Erfassung der Mitl�ufer in der Schweiz gelte es auch, die "die Anw�lte der 'Irregef�hrten' und die Vertreter einer die klaren Grenzen verwischenden allgemeinen Schuldtheorie" festzumachen. Dann folgt der Hinweis auf "Nun singen sie wieder". In diesem St�ck werde der Terror als Hervorlocker des Geistes besch�nigt, was einer "unbewussten Str�mung" entspringe, die Recht in Unrecht und wahr in falsch verkehre.

Das Schauspielhaus Z�rich ist in den Kriegsjahren zur bedeutendsten deutschsprachigen B�hne geworden, eine Theaterwerkstatt jenseits nationalsozialistischer Zensur, wo Thornton Wilder und Brecht gespielt wurden, wohin sich Schauspieler und Intellektuelle vor allem aus Deutschland fl�chteten.

"Bin oder die Reise nach Peking" erscheint. Die Reise "in der Richtung einer Sehnsucht, die weiter nicht nennenswert ist", ist eine imagin�re, Peking ist das Ziel und steht als Metapher f�r das Gl�ck. Bin und der Erz�hler (vorerst nur Ich, damit keine Namen genannt werden m�ssen), eine Rolle unter dem Arm, die zwar l�stig ist, aber nicht schwer, unternehmen die Reise zusammen; Ich und Bin scheinen naturgem�ss zueinander zu geh�ren.

Das Projekt f�r das Schwimmbad wird endg�ltig genehmigt.

1946 Urauff�hrung von "Santa Cruz"; was in "Bin" Peking war, heisst nun Hawaii, ist nur "ein Name, ein Ort". Pelegrin, die eine Hauptfigur, weiss: "Man kann nicht beides haben, scheint es. Der eine hat das Meer, der andere das Schloss; der eine hat Hawaii - der andere das Kind."

Zwischen B�ro und Theater nimmt MF das Tagebuchschreiben wieder auf. Ein Eintrag von 1946 lautet: "Du sollst Dir kein Bildnis machen", ein f�r MF sowohl ethischer wie �sthetischer Grundsatz, der sich literarisch im Spiel mit der Biographie und politisch in seiner Forderung nach Offenheit und Wahrhaftigkeit �ussert.

Er reist erstmals nach dem Krieg nach Deutschland und Italien, um sich ein von den Medien, bei denen er interessengesteuerte Berichterstattung vermutet, unabh�ngiges Bild zu machen. "Die Chinesische Mauer". Eine Farce", nach seiner Reise geschrieben, wird im Herbst uraufgef�hrt. Das St�ck spielt in Gegenwart und Vergangenheit zugleich; Pers�nlichkeiten verschiedener Epochen philosophieren �ber Fragen der Zeit, in der die Atombombe alles ver�ndert hat: " Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit (denn bisher war der Tyrann, der sein Rom in Flammen aufgehen liess, immer bloss eine tempor�re und durchaus lokale Katastrophe) - zum ersten Mal (und darum, meine Herrschaften, hilft uns keine historische Routine mehr!) stehen wir vor der Wahl, ob es die Menschheit geben soll oder nicht..."

1947 Der erste Teil des Tagebuchs erscheint als "Tagebuch mit Marion". MF reist nach Davos, Prag, Florenz, Siena. Im August beginnt der Bau am Letzibad.

Im November lernt er bei Kurt Hirschfeld den eben aus dem amerikanischen Exil angereisten Bertolt Brecht kennen. Er begleitet den Ortsunkundigen zum Bahnhof, berichtet von zerst�rten Berlin. "(Vielleicht kommen sie auch einmal in diese interessante Lage), sagte Brecht auf dem Bahnsteig, "dass Ihnen jemand von Ihrem Vaterland berichtet und Sie h�ren zu, als berichtete man Ihnen von einer Gegen in Afrika." MF ist oft zu Gast bei Brecht in Herrliberg und Brecht bei ihm auf der Baustelle. Die Beziehung ist nicht immer einfach; MF f�hlt sich von Brechts theoretischen Erl�uterungen zuweilen mattgesetzt. Am fruchtbarsten ist ihr Gespr�ch �ber das Theater. MF liest das Manuskript vom "Kleinen Organon f�r das Theater": "Es w�re verlockend all diese Gedanken auch auf den erz�hlenden Schriftsteller anzuwenden".

Eine andere wichtige Begegnung findet ebenfalls im November statt: In Frankfurt begegnet MF Peter Suhrkamp. Martin H�rlimann hatte nicht die Absicht, ein erweitertes Tagebuch zu verlegen, Suhrkamp fordert MF auf, weiterzuschreiben. MF �ber Suhrkamp: "Dabei glaube ich, dass es nicht seine Urteilskraft war, das uns das Vertrauen zu Suhrkamp gab, nicht in erster Linie. Er hatte einen Halt, dem Irrt�mer nichts anhaben konnten, einen Halt jenseits der Thesen. Im Aussehen alles andere als ein Bauer, grazil, auch kein Intellektueller, ein Grandseigneur, der als m�blierter Herr lebte und unbequem, hatte er im Umgang mit der Welt, die ihn nie bet�rte, wohl die Geduld und die Z�higkeit eines Bauern, sonst nichts B�uerisches, aber auch nichts St�dtisches, er hatte in jeder Lage, noch in der bedr�ngtesten, die stille Unabh�ngigkeit eines Mannes, der sich allein verantwortlich weiss f�r seine Hof - auch wenn es ein anderer war als der zugedachte -, und eine patriarchalische Besorgtheit um alle, die einmal zu diesem Hof geh�rten."

1948 Im August f�hrt das Deutsche Theater in Konstanz "Santa Cruz" auf. Brecht begleitet ihn zur Premiere; nach f�nfzehn Jahren Exil betritt er zum erstenmal wieder deutschen Boden. Brecht gibt sich betont gelassen, erst auf der R�ckfahrt bricht es aus ihm heraus: "Er begann mit einem kalten Kichern, dann schrie er, bleich vor Wut. Das Vokabular dieser �berlebenden, wie unbelastet sie auch sein mochten, Ihr Gehaben auf der B�hne, ihre wohlgemute Ahnungslosigkeit, die Unversch�mtheit, dass sie einfach weitermachten, als w�ren bloss ihre H�user zerst�rt, ihre Kunstseligkeit, ihr voreiliger Friede mit dem eigenen Land, all dies war schlimmer als bef�rchtet; Brecht war konsterniert, seine Rede ein grosser Fluch, ich hatte ihn noch nie so geh�rt, so unmittelbar wie bei dieser Kampfansage in einer mittern�chtlichen verschlafenen Wirtschaft nach seinem ersten Besuch auf deutschem Boden. Pl�tzlich dr�ngte er zur R�ckfahrt, als habe er Eile: "Hier muss man ja wieder ganz von vorne anfangen".

Reise nach Berlin, Prag und Warschau; Teilnahme am Gongr�s mondial des intellectuels pour la paix in Wroclaw (Breslau), was ihm �ffentliche Kritik einbringt. Die "Basler Zeitung" beispielsweise will "einen geistig unsicheren Schriftsteller wie Max Frisch so lange ablehnen, als er mit den Volksdemokraten flirtet, kommunistische "Friedenskonferenzen" besucht und sich nachher mit fadenscheinigen Worten herausredet". Damit wird auf die in der NZZ isoliert zitierte �usserung MF's, er seit weder f�r einen amerikanischen noch einen russischen Frieden, sondern f�r den Frieden, angespielt. Der Kalte Krieg findet auch in der Schweiz statt und w�chst sich zur Kommunistenhetze aus.

1949 Mit seiner Tochter Charlotte wird MF zum dritten Mal Vater. Im selben Jahr kann er die Er�ffnung des Letzibades feiern. Wie 1948 reist MF nach Wien und Berlin, von wo er f�r die NZZ berichtet. Aus seinen Artikeln ist das Unbehagen �ber den Kulturbetrieb, der sich unter den Besatzungsm�chten etabliert, herauszulesen. In Z�rich wird "Als der Krieg zu Ende war" erstmals gespielt. Vorl�ufiger Abschluss des Tagebuchs.
1950 Das "Tagebuch 1946 - 1949" erscheint im neu gegr�ndeten Suhrkamp-Verlag. Zusammen mit T.S. Eliots "Ausgew�hlten Essays" ist es das erste Suhrkamp-Buch. Mit Ausnahme der "Schweiz ohne Armee?" erscheinen alle weiteren Werke in diesem Verlag.

Wiedersehen mit Brecht in Berlin anl�sslich der Auff�hrung von Lenz' "Hofmeister". "Es war wie ein Schock: zum ersten Mal sehe ich, was Theater ist. Best�tigung seiner Theorie? Man vergass sie, indem ihr Versprechen eingel�st wurde:"

1951 "Graf �derland" wird erstmals gespielt. Die brachiale Gewalt, die aus dem Staatsanwalt hervorbricht, dem H�ter b�rgerlicher Gesinnung, so dass er scheinbar ohne Motiv mit der Axt mordend um sich schl�gt, ist der (b�rgerlichen) Kritik - und damit, wie MF meint, auch dem Publikum - zuviel. Das St�ck wird nach einem Monat abgesetzt. Friedrich D�rrenmatt kritisiert in seiner Besprechung, das Theaterst�ck bleibe im Privaten stecken, worauf MF in einem pers�nlichen Brief antwortet: "Du sprichst von einem Schiffbruch, aber ich bin froh, dass der Verriss ein kollegialer und ernsthafter ist, und vor allem stecken wir den Br�dern einen Riegel, die von Anfang an und zwar nach beiden Seiten versucht haben, uns gegeneinander auszutrumpfen."

Das Rockefeller Grant for Drama f�r einen einj�hrigen Aufenthalt in den USA wird ihm zugesprochen. Im April reist MF ab nach New York, Chicago, San Francisco, Los Angeles, Mexiko. Unterwegs arbeitet er an einem Roman, der ihm Schwierigkeiten bereitet, dessen innerer Zusammenhang noch fehlt. Er betrachtet ihn als gescheitert, aber weil er "dem Rockefeller gegen�ber ein schlechtes Gewissen hatte", schreibt er die Kom�die "Don Juan oder die Liebe zur Geometrie". MF m�chte seinen Don Juan als Geistesverwandten Ikarus' oder Fausts verstanden haben - nicht des Casanova -, als Intellektuellen, dessen Geist die Frauen verf�hrt. Nicht die Wollust treibt ihn von der einen zur anderen, aber weil ihn abst�sst, was nicht stimmt, muss er sie immer wieder verlassen. Und weil er etwas anderes mehr liebt als sie. "Seine Untreue ist nicht �bergrosse Triebhaftigkeit, sondern Angst, sich selbst zu t�uschen, sie selbst zu verlieren - eine wache Angst vor dem Weiblichen in sich selbst.

1952 R�ckkehr in die Schweiz.
1953 "Don Juan" wird gleichzeitig in Z�rich und am Berliner Schiller-Theater uraufgef�hrt. Der Bayerische Rundfunk sendet drei H�rspiele: "Herr Biedermann und die Brandstifter", das MF sp�ter zum gleichnamigen St�ck umbaut, sowie "Rip van Winkle" und "Eine Lanze f�r die Freiheit".

"Cum grano salis", sein Vortrag vor der Ortsgruppe Z�rich des Bundes schweizerischer Architekten, ist der Anfang seiner �ffentlich gef�hrten Polemik zum modernen St�dtebau. Von der Grossz�gigkeit amerikanischer Architektur angetan, scheint ihm das helvetische Mass noch beengender: "Nicht der demokratische Kompromiss ist das Bedenkliche, sondern der Umstand, dass die allermeisten Schweizer bereits ausserstande sind, an einem Kompromiss �berhaupt noch zu leiden. Warum sollten sie"!

Auch arbeitet er weiter an seinem Roman, der

1954 unter dem Titel "Stiller" erscheint. Stiller, der nicht Stiller sein will, weiss. "Man kann alles erz�hlen, nur nicht sein wirkliches Leben." Also erz�hlt er es, indem er sich weigert, es zu erz�hlen; seine Biographie ist das, was er von Freunden und Bekannten �ber sich vernimmt und in seinem Tagebuch notiert. Dieses bricht in dem Moment ab, als Stiller aufgibt, Mr. White zu sein. Stiller ist aber auch ein politisch kritischer B�rger, und der Roman �berrascht durch seinen kritischen Ansatz: "Aber Sie glauben doch nicht im Ernst, dass das schweizerische B�rgertum, als einziges in der Welt, kein Gef�lle habe zum Faschismus."

MF trennt sich von seiner Familie.

1955 zieht MF nach M�nnedorf am Z�richsee. Er erh�lt den Wilhelm-Raabe-Preis der Stadt Braunschweig und den Schiller-Preis der Schweizerischen Schillerstiftung. Mit dem Entschluss, sich auf das Schreiben zu konzentrieren, verkauft er sein Architekturb�ro an seinen Mitarbeiter Hannes Tr�sch. Von jetzt an arbeitet er nur noch sporadisch an architektonischen Aufgaben (1981 erstellt er zum Beispiel das Projekt Wohnhaus Unseld in Frankfurt am Main). Trotzdem nimmt er immer wieder Stellung zu st�dtebaulichen Problemen; sein H�rspiel "Der Laie und die Architektur" gewinnt den Schleussner-Schueller-Preis des Hessischen Rundfunks. MF fordert die Politisierung des St�dtebaus und die aktive Beteiligung von Soziologen und betroffenen B�rgern. "Planung tut not!" zur neuen Schweizer Stadt erscheint in der "Weltwoche". In "Achtung: Die Schweiz. Ein Gespr�ch �ber die Lage und ein Vorschlag zur Tat" entwirft er zusammen mit Lucius Burckhardt und Markus Kutter die Idee einer modernen Versuchsstadt, die als Alternative zur Landesausstellung von 1964 realisiert werden soll. Es bleibt beim Projekt.

Letzter Besuch bei Brecht in Berlin. "Es gibt einen Satz, der Brecht gerecht wird, obschon er nicht auf ihn geschrieben worden ist: "Trotz der Einseitigkeit seiner Lehre ist dieser m�rchenhafte Mensch unendlich vielseitig", ein Satz von Gorki �ber Tolstoi."

1956 W�hrend seiner zweiten Amerikareise nimmt er an der International Design Conference in Colorado teil; er f�hrt �ber Mexiko zur�ck nach Europa.
1957 "Homo Faber. Ein Bericht", die Geschichte des von der Berechenbarkeit der Welt �berzeugten Ingenieurs. Zwar sieht Faber keine Gespenster, aber er �bersieht auch die Wahrheit: dass seine Geliebte seine Tochter ist, deren Mutter er verlassen hatte im Glauben, sie w�rde das Kind nicht zur Welt bringen. Faber und Stiller, der Techniker und der K�nstler, sind komplement�re Figuren. W�hrend Stiller seine Identit�t leugnet und seine Lebensgeschichte nach und nach Konturen annimmt, ist Faber ein Selbstbewusster, dessen Selbstverst�ndnis in St�cke f�llt.

Reise nach Griechenland und in den Irak.

1958 Urauff�hrung von "Biedermann und die Brandstifter. Ein Lehrst�ck ohne Lehre" mit

dem Schwank des zur Tat wild entschlossenen Intellektuellen, "Die grosse Wut des Philip Hotz". Um Missverst�ndnisse �ber die Biedermann-Figur, die aus Geizheit die Brandstifter in ihrem Haus aufnimmt, zu vermeiden, schreibt MF ein Nachspiel, das sie als Nazimitl�ufer charakterisieren soll.

MF hatte sich in einem Hamburger Radiostudio das H�rspiel "Der gute Gott von Manhattan" vorspielen lassen, worauf er der jungen Dichterin schrieb, dass er die Darstellung des Mannes durch die Frau, die Selbstdarstellung der Frau, f�r sehr wichtig halte. Die Begegnung mit Ingeborg Bachmann findet in Paris am Abend der "Biedermann"-Premiere statt. Ingeborg Bachmann und MF leben w�hrend der n�chsten vier Jahre zusammen. Nach l�ngerem Z�gern des Preisgerichts erh�lt er den Literaturpreis der Stadt Z�rich. Als erstem Ausl�nder wird ihm der Georg-B�chner-Preis der Deutschen Akademie f�r Sprache und Dichtung zugesprochen. In der Dankesrede spricht er �ber Emigranten und �ber den Wirkungskreis der Schriftsteller: "Wir k�nnen das Arsenal der Waffen nicht aus der Welt schreiben, aber wir k�nnen das Arsenal der Phrasen, die man h�ben und dr�ben zur Kriegsf�hrung braucht, durcheinanderbringen, je klarer wir als Schriftsteller werden, je konkreter n�mlich, je absichtsloser in jener bedingungslosen Aufrichtigkeit gegen�ber dem Lebendigen, die aus dem Talent erst den K�nstler macht."

1959 wird seine Ehe mit Constance von Meyenburg geschieden. MF zieht nach Uetikon am Z�richsee. Im Fr�hling erkrankt er an Hepatitis; er bef�rchtet, was ihn sp�ter immer mehr besch�ftigen wird, den Verlust seines Ged�chtnisses. Wieder gesund, reist er nach Rom zu Ingeborg Bachmann.

Prix Charles Veillon, der bedeutendste internationale Preis der Schweiz, f�r "Homo Faber".